Aiwangers Backstube

Geiselwind, 18. Juni 2012 Die Freien Wähler treten zur Bundestagswahl an. Noch bestimmt der bayerische Vorsitzende die Szenerie in der Euro-Protestpartei
Von Peter Issig, Die Welt

Unterfranken, Samstagmorgen um zehn. Beim Autohof Strohofer im bayerischen Geiselwind treffen sich die GTI-Freunde und führen sich ihre tiefergelegten Golfs vor. In der „Music-Hall“ im Country-Stil ist es noch ruhig, die „Eventhalle“ dagegen ist schon geöffnet. Ein Plakat am Eingang wirbt für einen Kochkurs: „Für alle, die immer das größte Stück vom Kuchen wollen – Lernen Sie backen!“

Heute backt sich hier Hubert Aiwanger eine Bundespartei. Die Besucher, die pünktlich in die Halle strömen, sind Freie Wähler, die sich zur Bundesmitgliederversammlung treffen. Die 348 Teilnehmer werden beschließen, dass sie 2013 erstmals bei der Bundestagswahl antreten werden. Vor allem mit einem Thema: Kritik an der Euro-Politik.

„Die Lawine nach Berlin ist jetzt losgetreten“, sagt Multifunktionär Hubert Aiwanger. Der 41-jährige Landwirt aus Niederbayern ist Bundesvorsitzender, bayerischer Landesvorsitzender und Fraktionschef im Landtag. Er führt überall mit harter Hand. Jetzt will er auf die bundespolitische Bühne – ungeachtet der jüngsten schlechten Wahlergebnisse der Freien Wähler bei den Landtagswahlen. Und trotz der kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen: „Im Bund kommt Aiwanger nicht so gut an, wie er sich vorstellt“, sagt Armin Grein, Aiwangers Vorgänger und Ehrenvorsitzender der Freien Wähler. Dennoch stärkt die Mitgliederversammlung ihren Chef.

Einzelne Teilnehmer sind geradezu verzückt vom vermeintlichen Bedeutungszuwachs: Wir sind dabei, eine starke Truppe zu formen“, sagt Manfred Petri aus Rheinland-Pfalz. „Ich habe noch nie so viel Freie Wähler auf einem Haufen gesehen“, jubelt Ratsherr Torsten Jung aus dem niedersächsischen Ronnenberg. Andere hingegen fügen sich. Als Kommunalpolitiker sei er lange gegen eine Parteigründung gewesen, sagt Walter Rauchenberger aus Eschweiler. „Aber die Erfahrung, dass alles vom Land oder Bund von oben herab diktiert wird“, habe ihn umdenken lassen.

Das Gefühl, übergangen zu werden, die Enttäuschung über eine arrogante CSU, die damals noch mit absoluter Mehrheit Bayern regierte, motivierte vor zehn Jahren auch Aiwanger, sich den Freien Wählern anzuschließen. Die Gruppierung war im Freistaat wie auch in Baden-Württemberg schon immer ein Sammelbecken für Bürgerlich-Konservative, die mit der Union nicht können. Groß hat es sie nicht gemacht. Die Partei hat nach eigenen Angaben bundesweit rund 3000 Mitglieder, allein in Bayern aber 1800. Etwa jeder dritte Bürgermeister im Freistaat gehört zu einer freien Wählervereinigung. Bei der Landtagswahl 2008 holte Aiwanger 10,2 Prozent der Stimmen: Der Einzug in einen Landtag ist ein Einzelfall geblieben, erklärt aber den Machtanspruch Aiwangers.

Allerdings überzeugen die Freien Wähler auch im Freistaat nur auf dem Land. In den Städten, bei den Frauen und den Jungwählern tun sie sich schwer. So besteht auch die Führungsriege, die sich auf der Bundesmitgliederversammlung präsentiert, ausschließlich aus älteren Herren in dunklen Anzügen. Lediglich Stephan Werhahn, der an diesem heißen Tag auf die Krawatte verzichtet hat, lockert das Bild etwas auf. Der 59-jährige Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, der in Philosophie promoviert ist, hat bei Siemens, Bosch und der Weltbank gearbeitet. Er kennt sich also mit Geldfragen aus, wie er in seinem trockenen Referat beweist.

Unter den Zuhörern ist das Urteil weniger differenziert: Es blicke sowieso keiner mehr durch, Spekulanten würden unser Geld verbrennen, die Sparbücher seien nicht mehr sicher, Merkel & Co. seien schlicht überfordert.

Werhahn hat aber noch andere Qualitäten, um die Truppe reif für die Bundespolitik zu machen. Er ist der Enkel von Konrad Adenauer. Das spricht für Solidität und Verantwortungsbewusstsein, so wie es sich Aiwanger auch von seinem Mitstreiter, dem ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel, verspricht. Der weltläufige Adenauer-Enkel erinnert an das große Erbe seines Großvaters, die europäische Einigung, soziale Marktwirtschaft, die Geldwertstabilität. Dies sieht er bedroht. „Nein zu Rettungsschirmen und Zentralismus“ ist die Wahlkampfresolution überschrieben.

Sie wollen ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, eine währungspolitische Neuordnung der EU-Länder in Währungsgebiete entsprechend ihrer Wirtschaftskraft. Werhahn glaubt, das viele seiner Kollegen aus der Wirtschaft auch so denken. Er ist bereit, sich dafür politisch zu engagieren, wohl als Spitzenkandidat: „Wir sind die einzige politische Kraft, die das ungute Gefühl in der Bevölkerung manifestieren kann. Das ist etwas, was von Berlin nicht ernst genommen wird.“ Aiwanger ist da direkter. „Deutschland braucht uns, und wir werden nicht kneifen.“ An den etablierten Akteuren lässt er kein gutes Haar: „Schwarz-Rot-Grün-Gelb ist in Deutschland eine Versagertruppe.“ Die Bundesregierung bestehe „in gewissen Teilen aus Teppichdieben und Besitzern gefälschter Doktortitel“. Beim Euro wird er dramatisch: „Wenn die Euro-Bombe platzt“, sei nicht auszuschließen, dass es auch in Deutschland zu „politischen Unruhen“ komme. Aiwanger gibt den Volkstribun, und der Saal jubelt. Es wird nicht diskutiert. Erst später bekommen Delegierten Zweifel: „Es gibt einigen Unmut, dass die Versammlung nicht einmal gefragt wurde“, sagt Wolfgang Hütter aus Frankfurt/Main.

Aber bei der Versammlung sind sowieso nur die Gruppierungen vertreten, die für den Gang nach Berlin sind. Die anderen haben sich längst von Aiwanger getrennt, wie ein großer Landesverband in Baden-Württemberg. „Eigentlich hätte es gar keine Abstimmung mehr gebraucht“, sagt Aiwanger.

Jetzt will er „die Medienlandschaft entern“. Die sprachliche Anlehnung an die Piratenpartei ist nicht zufällig. Denn er weiß, dass die Freien auch nur als Protestpartei daherkommen. Sie seien aber eine „Antipiratenpartei“, weil sie verlässliche, kommunalpolitisch erfahrene Mitglieder habe. Sie müssten sich eigentlich mit Satzungsarbeit auskennen.

Aber die Diskussion, die in Geiselwind über ein neues Grundsatzprogramm geführt wird, hat groteske Züge. Da wird gerätselt, ob man einfach so ohne Parteitagsbeschluss den Bundesvorstand erweitern könne, Juristen melden Zweifel an, ob im Block oder einzeln abgestimmt werden kann, andere beantragen den Abbruch der Debatte, wenn nicht endlich ihre Fragen beantwortet werden. Aiwanger drängt. Schließlich wird die Sache vertagt. Der Weg aus der bayerischen Provinz zur Bunde
spartei erscheint da doch wieder sehr weit.