Politik mit kleiner Münze

Berlin, 04.12.2009   Kommentar von Thomas Kreutzmann, ARD-Hauptstadtstudio

Geschundene Länderfinanzminister und Kämmerer in ganz Deutschland fragen sich: Wer soll die über acht Milliarden Steuerausfälle aus dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz ausgleichen? Während darüber noch ein heftiger Streit zwischen Bund, Ländern und Kommunen tobt, treibt die neue Regierungskoalition dieses erste schwarz-gelbe Gesetz überhaupt durch den Bundestag.

Angesichts der heftigen Kontroverse im Vorfeld darf man sich wenigstens freuen, dass Bundestagsabgeordnete wie Ernst Burgbacher (FDP) und Ernst Hinsken (CSU) so gut harmonieren. Die beiden eher nicht so bekannten Politiker haben es geschafft, eine der unsinnigsten Steueränderungen überhaupt durchzudrücken: den reduzierten Mehrwertsteuersatz für das Beherbungsgewerbe.

Der kommt ja nun auch mit dem neuen Gesetz, selbst wenn das den Staat eine bis drei Milliarden (!) Euro an Ausfällen kostet – und wenn er zusätzliches Chaos in der ohnehin überkomplizierten Steuersystematik anrichtet. Pro Übernachtung also künftig nur sieben Prozent Umsatzsteuer, aber pro Frühstück nach wie vor die vollen 19 Prozent.

Einzelne Parteien wollen ihrer Klientel Gutes tun

Welchen Sinn macht das denn? Und wollte nicht gerade die FDP die vielen unlogischen Ausnahmen bei der Umsatzsteuer lobenswerterweise abschaffen – allerdings vor der Wahl? Billigere Hotelbetten dürfen Urlauber nach jetzigem Stand auch nicht erwarten. Das Beispiel zeigt: Hier wollen einzelne Parteien ihrer Klientel Gutes tun. Mit so kleiner Münze macht die neue Koalition Politik. Echter Aufbruch sieht anders aus.

Und schade, wenn das große Kosten für den ohnehin stark verschuldeten Bund verursacht. Dabei könnte die Bundesregierung durchaus das ersehnte Wachstum beschleunigen und damit ihre Steuereinnahmen vergrößern, indem sie die Kaufkraft der Bürger stärkt – vor allem bei denen, die so wenig Geld haben, dass sie das meiste gleich wieder in den Wirtschaftskreislauf stecken müssen.

Doch Schwarz-Gelb versäumt dabei Chancen. Prinzipiell gut ist, dass Familien ab 2010 zwanzig Euro mehr Kindergeld bekommen – weniger hilfreich ist, dass der wahlweise um 1000 Euro höhere Kinderfreibetrag Gutverdiener doppelt so hoch begünstigt, mit bis zu 40 Euro pro Kind und Monat. Das ist Geld, das die betuchten Familien eher sparen können, statt es verkonsumieren müssen. Dass Hartz-IV-Familien erst gar nicht das höhere Kindergeld behalten dürfen, sei nur noch einmal am Rande erwähnt.

Entscheidung zu Erbschaftssteuer – wirklich nötig?

Fragwürdig sind auch andere Entscheidungen – etwa niedrigere Erbschaftssteuersätze für Geschwister oder eine vereinfachte Befreiung von der Erbschaftssteuer bei Betriebsübernahmen. War das wirklich nötig? Wie viele Firmenerben mussten eigentlich schon so viel Erbschaftssteuer zahlen, dass sie das Unternehmen nicht mehr weiterführen konnten? Belastbare Fälle dazu gibt es nicht, obwohl die Unternehmerverbände sie sicher bereitwillig der Öffentlichkeit präsentieren würden.

Allerdings korrigiert Schwarz-Gelb auch Fehler von Vorgängerregierungen – etwa mit der Wiedereinführung der Sofortabschreibung von weniger teuren Wirtschaftsgütern. Doch gerade bei diesem Punkt hätten sich CDU, CSU und FDP noch mehr trauen können. Denn je höher die Steuervorteile bei betriebsnotwendigen Ausgaben sind, umso mehr werden die Unternehmen kaufen und damit die Wirtschaft ankurbeln. Lobenswert auch, dass erste Ansätze zu sehen sind, die übermäßige steuerliche Belastung mittlerer Einkommen zu verringern.

Die Staatsausgaben müssen gedrosselt werden

Das alles sind aber ganz zarte Pflänzchen. Sie können rasch in der Hitze einer verschärften Krise verdörren. Diese Bundesregierung sollte mehr Mut zeigen, bei einem Umbau des Steuersystems hin zu mehr Einfachheit und Effizienz. Sie sollte einen Wechsel hin zu einer höheren Belastung des Faktors Kapitals bei einer Entlastung des Faktors Arbeit nicht ausschließen. Und sie sollte mit Energie daran gehen, die Staatsausgaben zu drosseln. 

Denn das neue Gesetzespaket dürfte die Wachstumskräfte kaum so entfesseln, dass gigantische Steuermehreinnahmen die Sorgen der öffentlichen Haushalte beseitigen. Ein ähnlich warmer Regen bei Steuereinnahmen beglückte den Bund 2006 bis 2008. Die Chance zur Haushaltssanierung hat die damalige Regierung Merkel nicht genutzt.