Blomberg, die Stadt ohne Verkehrsschilder

Autos, Fußgänger und Radfahrer sollen sich die City gleichberechtigt teilen

VON MATTHIAS BUNGEROTH

Neue Wege im Lipperland | FOTO: SCHWARZER

Blomberg. Erregte Gemüter in Blombergs guter Stube, dem schmucken Marktplatz. „Wo wollen Sie denn hier durchfahren? Da muss doch einer sein, der aufpasst“, sagt Passant Karl Mengedoht. „Die Idee und die Umsetzung finde ich klasse. Es wird langsamer gefahren“, meint hingegen André Heitkämper. Es ist ein ungewöhnliches Verkehrskonzept, das in der lippischen Stadt für Gesprächsstoff sorgt.

Für sechs Wochen nimmt Blomberg an dem Projekt „Shared Space“ (zu deutsch: geteilter Raum) teil. Ziel des in den Niederlanden entwickelten Konzepts ist es, dass alle Menschen, vom Fußgänger über Radfahrer bis zum Pkw- oder Busfahrer, die City gleichberechtigt nutzen. So soll ein Nebeneinander auf Augenhöhe entstehen – und mehr Rücksicht Einzug halten in der historischen Altstadt mit ihren schönen Fachwerkhäusern. So bahnen sich die Autos zum Beispiel auf dem Marktplatz zwischen Blumenkübeln und Sitzbänken ihren Weg.

„Gute Idee“, sagt Benjamino da Col, Besitzer des Eiscafés „Italia Uno“ mitten in der Projektzone: „Wir sind eine kleine Stadt und brauchen neue Ideen“, findet der Gastronom. Stephanie Koch, die gerade an einem Tisch an der Straße ihren Kaffee genießt, sieht die Sache eher kritisch. „Teilweise finde ich es unverschämt, dass sie auf dem Fußgängerweg parken“, sagt sie an die Kraftfahrer gerichtet.

Blütenmotive statt Verkehrszeichen

26 Parkschilder und 7 Verkehrszeichen wurden abgedeckt und durch bunte Blumenmotive ersetzt. Will heißen: Grundsätzlich darf überall gefahren und geparkt werden, Grenzen zwischen den ebenerdigen Fußgängerwegen, Plätzen und Straßen werden plötzlich fließend.

„Man muss sich in die Augen sehen“, sagt Katrin Bünten vom Stadtmarketing Blomberg. Sie ist täglich in der Innenstadt unterwegs, um in Gesprächen oder Flugblättern über die Hintergründe der Aktion aufzuklären. Leicht ist das nicht immer.

„Das ist wirklich ein Schwachsinn“, schimpft eine Passantin aus Schieder-Schwalenberg, die mit dem Auto zum Einkaufen nach Blomberg gekommen ist und sich mit der neuen Regelung partout nicht anfreunden kann. „Vielleicht kann man erreichen, dass sich die Autofahrer nicht immer als die Starken fühlen“, hofft Uwe Praschak, Sprecher der Stadt Blomberg. Doch vor allem in den ersten Tagen des Projekts nutzten Kraftfahrer ihre neugewonnenen Freiheiten in einer Weise aus, die gar nicht im Sinne der Erfinder von „Shared Space“ ist: Sie parkten den historischen Marktplatz vor dem Rathaus kreuz und quer zu.

Gewohnte Regeln gelten nicht mehr

Auch an diesem Tag haben einige Autos den Marktplatz zum Parkplatz gemacht. „Das ist das, was wir nicht so gerne wollten“, so Praschak. Denn natürlich wird gerade der Marktplatz mit seinen historischen Giebeln von Touristen als Fotomotiv geschätzt. Dass gerade Kraftfahrer Schwierigkeiten haben, wenn lange gewohnte Verkehrsregelungen plötzlich aufgehoben werden, zeigt sich an einer Kreuzung. Hier sind die Vorfahrtsschilder abgehängt, es gilt rechts vor links. Doch innerhalb einer Minute missachten gleich drei Fahrer die neue Regel, fahren auf der Straße durch, die bisher Vorfahrtsrecht besaß. Unfälle allerdings gibt es nicht – die von rechts kommenden Fahrzeuge, die eigentlich fahren dürften, warten brav ab. „Wir sind in einem Lernprozess“, sagt Bünten.