Das nächste Kernkraftwerk ist nah

Kreis Herford, 23. März 2010 Stadt Bünde und Kreis Herford haben keinen Krisenplan für den Fall einer Atomkatastrophe

VON FELIX EISELE UND PATRICK MENZEL, Neue Westfälische

Keine große Entfernung | FOTO: EDWIN DODD/GRAFIK:MARTIN LANGE

Besorgte Blicke richten sich dieser Tage nach Japan. Der verzweifelte Kampf gegen die drohende Kernschmelze im teilweise zerstörten Atomkraftwerk Fukushima löst auch hierzulande, rund 9.000 Kilometer entfernt, Bestürzung und Sorge vor einer nuklearen Zukunft aus. Denn das AKW Grohnde liegt nahe: Nur 60 Kilometer Luftlinie trennen Bünde vom nächstgelegenen Kernkraftwerk. Und Zwischenfälle sind auch dort nicht ausgeschlossen.

„Es steht und fällt alles mit der Kühlung der Reaktoren“, sagt Willy Oberpenning, am Marktgymnasium zuständig für den Fachbereich Physik. „Die darf auf keinen Fall ausfallen, sonst wird es kritisch.“ Nicht zuletzt die Vorfälle in Fukushima, wo zwischenzeitlich sogar Wasserwerfer zur Temperaturregulierung zum Einsatz kamen, zeigten dieses Risiko beispielhaft auf. Frei werdende Energie müsse unbedingt weggekühlt werden. „Sonst können sich die Brennstäbe auf bis zu 2.000 Grad Celsius erwärmen“, erklärt Oberpenning, „und einer solchen Temperatur kann kein Material der Welt stand halten.“ Als Folge steige der Druck im Reaktor erheblich an, was im schlimmsten Fall zu einer Explosion führen könne. „Dann gelangt natürlich auch radioaktives Material nach draußen und breitet sich aus.“

Doch auch wenn die Kernkraftwerke hierzulande verhältnismäßig sicher sind – laut Oberpenning werden sie in Deutschland auf vier Arten gekühlt – bleibt ein Restrisiko auch in Grohnde stets bestehen. Ob und inwieweit Bünde von einem eventuellen Zwischenfall betroffen wäre, lasse sich aber nur schwer einschätzen, so Oberpenning. „Die geographische Lage und die regulären Windverhältnisse sprechen zunächst einmal für uns“, sagt der Physik-Lehrer. „Im Normalfall wäre eine Ausbreitung in einem Umkreis von 20 bis 30 Kilometern normal.“ Unter Umständen könne das radioaktive Material aber durch die Kraft der Explosion in höhere Luftschichten gelangen und sich dadurch wesentlich großflächiger ausbreiten. „So war es damals in Tschernobyl“, erinnert sich Oberpenning.

Die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima wirft die Frage auf, wie bei uns mit den Folgen eines Reaktorunglücks umgegangen werden würde. „Vor Ort haben wir keinen Plan für ein solches Szenario“, sagt Axel Biermann. Er ist im Ordnungsamt für Katastrophen zuständig, aber irgendwie auch wieder nicht. „So richtig geregelt ist das in Bünde nämlich nicht“, gibt er zu.

Fragt man in der Verwaltung nach den Namen, die im Krisenstab sitzen, herrscht Schweigen. Denn einen solchen gibt es nicht. Vielleicht, so Biermann, sei die Katastrophe von Fukushima Anlass, die Defizite der vergangenen Jahre aufzuarbeiten. Auch beim Kreis Herford habe man für einen Fall von atomarer Bedrohung keinen konkreten Plan und auch keine Jodtabletten in der Schublade, sagt Pressesprecher Klaus Wöhler. Dennoch sei man gerüstet. Ähnlich wie nach Naturkatastrophen rufe der Landrat in einem solchen Fall einen Krisenstab ins Leben, in dem Verwaltungsmitarbeiter aus den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Bevölkerungsschutz, Pressearbeit, Umwelt und Soziales über das strategische Vorgehen beraten. Die Mitglieder des Krisenstabs nehmen regelmäßig an Übungen teil, bei denen Katastrophen-Szenarien simuliert werden.

Bei einem schwerwiegenden Atomunfall in Grohnde stünden die Stadt Bünde und der Kreis Herford im Krisenmanagement ohnehin an hinterer Stelle, sagt Wöhler. Die Federführung im Krisenstab hätte der „Betreiberlandkreis“ Hameln-Pyrmont, wie es die Pressesprecherin des niedersächsischen Innenministeriums in Hannover, Vera Wucherpfennig, erklärt.