Fachtag im Bürgerzentrum Haus unter den Linden in Herford

Herford, 08. März 2012 Erwachsene Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung im Krankenhaus – alles andere als Wunschpatienten?

Etwa 1.000 erwachsene Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung leben im Kreis Herford. Wenn sie in ein Krankenhaus kommen, wird es für alle Beteiligten, die Ärzteschaft, das Pflegepersonal und die Patienten schwierig. Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung sind für Krankenhäuser eine enorme Herausforderung. Darüber berichtete Professor Dr. Michael Seidel aus Bethel im Herforder Bürgerzentrum Haus unter den Linden.

Pflege und Therapie von geistig behinderten Menschen, so der Geschäftsführer und leitende Arzt im Stiftungsbereich Behindertenhilfe der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, forderten spezielle Kenntnisse und verursachten einen erheblichen Mehraufwand. Darauf seien Krankenhäuser nur unzureichend vorbereitet.

Gut 100 Mitarbeitenden aus heimischen Krankenhäusern, Vertretern von Behinderteneinrichtungen und Angehörigen, erläuterte Seidel die spezielle Situation der behinderten Menschen. Zusätzlich zur Sorge um die eigene Gesundheit verängstige und überfordere ein Krankenhausaufenthalt. Eine verminderte Köperwahrnehmung sowie eine geringere Anpassungs- und Kommunikationsfähigkeit bei der Untersuchung sei die Folge. Die üblichen Untersuchungsmethoden reichten oft nicht aus. Hinzu komme der erhöhte Betreuungs- und Pflegeaufwand.

Problematisch sei, dass das derzeit geltende Vergütungssystem der Krankenkassen diese besondere Situation nicht berücksichtige. Der Mediziner mahnte aber nicht nur beim Gesetzgeber eine angemessene Honorierung der Ärzte an. Zugleich klagte er im Gesundheitssystem einen Einstellungswandel ein. Außerdem seien spezielle Krankenhäuser oder -Abteilungen notwendig, wo die Patienten mit geistiger Behinderung bedürfnisgerecht behandelt werden könnten.

„Das Problem wird immer drängender“, sagen Sabine Hartmann-Rohlf und Martina Nickles, die als Vertreter des Behinderten- und Seniorenbüros der Stadt Herford die Tagung gemeinsam mit dem Arbeitskreis „Altenhilfe trifft Behindertenhilfe im Kreis Herford“ organisiert haben. Derzeit lebten in Westfalen und Lippe gut 27.000 erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung. Bis 2030 werde ihre Zahl, so eine Studie der Katholischen Fachhochschule Münster, auf rund 38.000 ansteigen. Besonders auffällig ist hier der Anstieg der Erwachsenen über 60 Jahre von heute 10 auf 31 Pprozent im Jahr 2030.

Einen Praxisbericht gab Nina Zajonc von der Krankenhausbegleitung der Lebenshilfe in Leverkusen. Sie erläuterte, wie Bewohner mit geistigen Behinderungen aus den Wohnstätten in Leverkusen in dortigen Kliniken begleitet werden. Es folgten Stellungnahmen der Pflegeleitungen der Krankenhäuser aus Herford, Bünde und Enger sowie Erfahrungsberichte Betroffener und von Mitarbeitenden aus der Behindertenhilfe.

„Die UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung verlangt die gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen. Dies schließt auch das Gesundheitssystem ein. Dieser Fachtag war“, so die Organisatorinnen Sabine Hartmann-Rohlf und Martina Nickles, „auf regionaler Ebene ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir werden die Ergebnisse auswerten und gemeinsam mit den Krankenhäusern überlegen, wie wir die Situation verbessern können.“