Aiwangers Backstube

Geiselwind, 18. Juni 2012 Die Freien Wähler treten zur Bundestagswahl an. Noch bestimmt der bayerische Vorsitzende die Szenerie in der Euro-Protestpartei
Von Peter Issig, Die Welt

Unterfranken, Samstagmorgen um zehn. Beim Autohof Strohofer im bayerischen Geiselwind treffen sich die GTI-Freunde und führen sich ihre tiefergelegten Golfs vor. In der „Music-Hall“ im Country-Stil ist es noch ruhig, die „Eventhalle“ dagegen ist schon geöffnet. Ein Plakat am Eingang wirbt für einen Kochkurs: „Für alle, die immer das größte Stück vom Kuchen wollen – Lernen Sie backen!“

Heute backt sich hier Hubert Aiwanger eine Bundespartei. Die Besucher, die pünktlich in die Halle strömen, sind Freie Wähler, die sich zur Bundesmitgliederversammlung treffen. Die 348 Teilnehmer werden beschließen, dass sie 2013 erstmals bei der Bundestagswahl antreten werden. Vor allem mit einem Thema: Kritik an der Euro-Politik.

„Die Lawine nach Berlin ist jetzt losgetreten“, sagt Multifunktionär Hubert Aiwanger. Der 41-jährige Landwirt aus Niederbayern ist Bundesvorsitzender, bayerischer Landesvorsitzender und Fraktionschef im Landtag. Er führt überall mit harter Hand. Jetzt will er auf die bundespolitische Bühne – ungeachtet der jüngsten schlechten Wahlergebnisse der Freien Wähler bei den Landtagswahlen. Und trotz der kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen: „Im Bund kommt Aiwanger nicht so gut an, wie er sich vorstellt“, sagt Armin Grein, Aiwangers Vorgänger und Ehrenvorsitzender der Freien Wähler. Dennoch stärkt die Mitgliederversammlung ihren Chef.

Einzelne Teilnehmer sind geradezu verzückt vom vermeintlichen Bedeutungszuwachs: Wir sind dabei, eine starke Truppe zu formen“, sagt Manfred Petri aus Rheinland-Pfalz. „Ich habe noch nie so viel Freie Wähler auf einem Haufen gesehen“, jubelt Ratsherr Torsten Jung aus dem niedersächsischen Ronnenberg. Andere hingegen fügen sich. Als Kommunalpolitiker sei er lange gegen eine Parteigründung gewesen, sagt Walter Rauchenberger aus Eschweiler. „Aber die Erfahrung, dass alles vom Land oder Bund von oben herab diktiert wird“, habe ihn umdenken lassen.

Das Gefühl, übergangen zu werden, die Enttäuschung über eine arrogante CSU, die damals noch mit absoluter Mehrheit Bayern regierte, motivierte vor zehn Jahren auch Aiwanger, sich den Freien Wählern anzuschließen. Die Gruppierung war im Freistaat wie auch in Baden-Württemberg schon immer ein Sammelbecken für Bürgerlich-Konservative, die mit der Union nicht können. Groß hat es sie nicht gemacht. Die Partei hat nach eigenen Angaben bundesweit rund 3000 Mitglieder, allein in Bayern aber 1800. Etwa jeder dritte Bürgermeister im Freistaat gehört zu einer freien Wählervereinigung. Bei der Landtagswahl 2008 holte Aiwanger 10,2 Prozent der Stimmen: Der Einzug in einen Landtag ist ein Einzelfall geblieben, erklärt aber den Machtanspruch Aiwangers.

Allerdings überzeugen die Freien Wähler auch im Freistaat nur auf dem Land. In den Städten, bei den Frauen und den Jungwählern tun sie sich schwer. So besteht auch die Führungsriege, die sich auf der Bundesmitgliederversammlung präsentiert, ausschließlich aus älteren Herren in dunklen Anzügen. Lediglich Stephan Werhahn, der an diesem heißen Tag auf die Krawatte verzichtet hat, lockert das Bild etwas auf. Der 59-jährige Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, der in Philosophie promoviert ist, hat bei Siemens, Bosch und der Weltbank gearbeitet. Er kennt sich also mit Geldfragen aus, wie er in seinem trockenen Referat beweist.

Unter den Zuhörern ist das Urteil weniger differenziert: Es blicke sowieso keiner mehr durch, Spekulanten würden unser Geld verbrennen, die Sparbücher seien nicht mehr sicher, Merkel & Co. seien schlicht überfordert.

Werhahn hat aber noch andere Qualitäten, um die Truppe reif für die Bundespolitik zu machen. Er ist der Enkel von Konrad Adenauer. Das spricht für Solidität und Verantwortungsbewusstsein, so wie es sich Aiwanger auch von seinem Mitstreiter, dem ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel, verspricht. Der weltläufige Adenauer-Enkel erinnert an das große Erbe seines Großvaters, die europäische Einigung, soziale Marktwirtschaft, die Geldwertstabilität. Dies sieht er bedroht. „Nein zu Rettungsschirmen und Zentralismus“ ist die Wahlkampfresolution überschrieben.

Sie wollen ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, eine währungspolitische Neuordnung der EU-Länder in Währungsgebiete entsprechend ihrer Wirtschaftskraft. Werhahn glaubt, das viele seiner Kollegen aus der Wirtschaft auch so denken. Er ist bereit, sich dafür politisch zu engagieren, wohl als Spitzenkandidat: „Wir sind die einzige politische Kraft, die das ungute Gefühl in der Bevölkerung manifestieren kann. Das ist etwas, was von Berlin nicht ernst genommen wird.“ Aiwanger ist da direkter. „Deutschland braucht uns, und wir werden nicht kneifen.“ An den etablierten Akteuren lässt er kein gutes Haar: „Schwarz-Rot-Grün-Gelb ist in Deutschland eine Versagertruppe.“ Die Bundesregierung bestehe „in gewissen Teilen aus Teppichdieben und Besitzern gefälschter Doktortitel“. Beim Euro wird er dramatisch: „Wenn die Euro-Bombe platzt“, sei nicht auszuschließen, dass es auch in Deutschland zu „politischen Unruhen“ komme. Aiwanger gibt den Volkstribun, und der Saal jubelt. Es wird nicht diskutiert. Erst später bekommen Delegierten Zweifel: „Es gibt einigen Unmut, dass die Versammlung nicht einmal gefragt wurde“, sagt Wolfgang Hütter aus Frankfurt/Main.

Aber bei der Versammlung sind sowieso nur die Gruppierungen vertreten, die für den Gang nach Berlin sind. Die anderen haben sich längst von Aiwanger getrennt, wie ein großer Landesverband in Baden-Württemberg. „Eigentlich hätte es gar keine Abstimmung mehr gebraucht“, sagt Aiwanger.

Jetzt will er „die Medienlandschaft entern“. Die sprachliche Anlehnung an die Piratenpartei ist nicht zufällig. Denn er weiß, dass die Freien auch nur als Protestpartei daherkommen. Sie seien aber eine „Antipiratenpartei“, weil sie verlässliche, kommunalpolitisch erfahrene Mitglieder habe. Sie müssten sich eigentlich mit Satzungsarbeit auskennen.

Aber die Diskussion, die in Geiselwind über ein neues Grundsatzprogramm geführt wird, hat groteske Züge. Da wird gerätselt, ob man einfach so ohne Parteitagsbeschluss den Bundesvorstand erweitern könne, Juristen melden Zweifel an, ob im Block oder einzeln abgestimmt werden kann, andere beantragen den Abbruch der Debatte, wenn nicht endlich ihre Fragen beantwortet werden. Aiwanger drängt. Schließlich wird die Sache vertagt. Der Weg aus der bayerischen Provinz zur Bunde
spartei erscheint da doch wieder sehr weit.

Einer gegen alle – Freie Wähler wollen mitspielen

Geiselwind, 16. Juni 2012 Hubert Aiwanger will sich den Arbeitsanzug anziehen!
Quelle: n-tv.de / dpa.

Foto: dapd

Für die kleine bayerische Landtagspartei Freie Wähler ist „Schwarz-Rot-Grün-Gelb in Deutschland eine Versagertruppe“. Aber auch die Piraten kommen nicht gut weg. Jetzt kündigen die Freien Wähler an, den Sprung in die große Politik zu wagen. 2013 wollen sie gegen jeden kämpfen, würden zur Not aber auch mit den „Versagern“ von Union und FDP koalieren.

Die Freien Wähler wollen 2013 mit einem harten Konfrontationskurs gegenüber allen anderen Parteien und mit einer glasklaren Abgrenzung von den Piraten erstmals in den Bundestag einziehen. Eine Bundesmitgliederversammlung im unterfränkischen Geiselwind stimmte mit überwältigender Mehrheit für das Antreten bei der Wahl. Bislang sind die Freien Wähler nur in Bayern im Landtag vertreten.

„Damit wird endgültig der Arbeitsanzug angezogen. Wir arbeiten daran, 2013 an dieser Bundesrepublik Deutschland auch auf Bundesebene mitzuarbeiten“, sagte ihr Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger. Die Koalition und die Opposition, aber auch die Piraten griff er scharf an. „Schwarz-Rot-Grün-Gelb ist in Deutschland eine Versagertruppe.“

Aiwanger zeigte sich zuversichtlich, 2013 die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Zugleich bot er sich – bei aller Kritik – als möglicher Koalitionspartner für Union und FDP an, um auch in den kommenden Jahrzehnten bürgerliche Mehrheiten „noch denkbar zu machen“.

Anti-Piraten sind hart wie Granit

Scharf grenzte Aiwanger die Freien Wähler insbesondere von den Piraten ab. „Wir nehmen ganz gezielt die Rolle der Anti-Piraten ein“, betonte er. „Wir sind keine Gruppierung, die durch ein paar Talkshows hochgepusht worden ist. Was wir zu bieten haben, das gründet auf Granit.“

Mit Blick auf Widerstände gegen das Projekt Bundestagswahl etwa seitens des Landesverbands Baden-Württemberg betonte Aiwanger, die Freien Wähler wollten ihre „Kinderstube“, also ihre Verankerung in den Kommunen, nicht aus den Augen verlieren. „Aber wir sehen all die Themen, bei denen uns zu Hause die Leine zu kurz gebunden ist, um politisch etwas zu bewegen.“

Stadt ohne Haushalt

16. Juni 2012 Pattsituation im Rat – erneute Beratung am 03. Juli
Von Ralf Meistes, Herforder Kreisblatt

Die Mitglieder des Rates konnten sich am Freitag nicht auf einen gemeinsamen Haushalt für das Jahr 2012 einigen. Durch das krankheitsbedingte Fehlen von Werner Seeger (CDU) entstand im Rat eine Pattsituation. Das Thema soll am 3. Juli noch einmal beraten werden.

Die Arithmetik des Abends war einfach: durch das Fehlen eines Mitgliedes waren 43 Ratsmitglieder und der Bürgermeister anwesend. Sowohl das Lager aus CDU, FDP, Bürger für Herford und Liste 2004 als auch das Bündnis aus SPD, Die Grünen, Die Linke und dem parteilosen Bernd Reitmeier brachten mit 22 Stimmen keine Mehrheit zustande. Die CDU erinnerte an die Praxis aus den Zeiten des ehemaligen SPD-Fraktionschefs Heinrich Tiekötter, wonach bei Krankheit eines Ratskollegen die andere Seite ebenfalls mit einer Person auf eine Abstimmung verzichtet hat. Dies hätte eine Mehrheit für das bürgerliche
Bündnis bedeutet. Darauf wollte sich Rot-Grün nicht einlassen.
Auch Bürgermeister Bruno Wollbrink wollte sich nicht in eine neutrale Ecke drängen lassen, sondern bekannte, er stehe den Vorschlägen von Rot-Grün näher als jenen von Schwarz-Gelb.

Vor allem die unterschiedlichen Positionen bei der geplanten Steuererhöhung und den Elternbeiträgen für den Offenen Ganztag verhinderten eine Einigung. »In vielen Punkten sind wir nicht so weit auseinander«, betonte SPD-Fraktionschef Horst Heining. Bei der geplanten Gewerbesteuererhöhung folgen SPD und Die Grünen dem Verwaltungsvorschlag, wonach eine Anhebu von 425 auf 440 Prozent geplant ist. Dies würden Mehreinnahmen von 1,65 Mio. Euro bedeuten.

Das bürgerliche Lager will die Gewerbesteuer auf 435 Prozent anheben, was etwa 550 000 Euro weniger in die Kassen spülen würde. CDU und FDP fürchten, dass andernfalls Betriebe ins Umland abwandern oder sich erst gar nicht in Herford ansiedeln. Rot-Grün verweist darauf, dass Herford erst mit der Erhöhung einen landesweiten Durchschnittswert erreicht habe. »Durch die höheren Steuereinnahmen können wir unsere gute Infrastruktur aufrecht erhalten, wovon auch wieder die Firmen profitieren«, sagte Heining (SPD). »Wir sollten unsere Sparbemühungen erhöhen und nicht mit immer dreister werdenden Steuererhöhungen reagieren«, entgegnete CDU-Fraktionschef Wolfgang Rußkamp. Knackpunkt 2 sind die unterschiedlichen Berechnungsarten
für die Kosten im Offenen Ganztag. CDU, FDP, Bürger für Herford und Liste 2004 wollen hier pauschal 50 Euro pro Kind im Monat fordern. Rot-Grün schlägt einen Verfahren wie bei den Kita-Beiträgen vor, also gestaffelt nach Einkommen. Ein pauschaler Elternbeitrag ist aus Sicht von Rot- Grün sozial ungerecht. Außerdem würden durch die von der CDU vorgeschlagenen 50 Euro immer noch große Lücken im Haushalt entstehen. »Sie sorgen für eine Finanzlücke von mehreren hunderttausend Euro«, so Heining.

Strittig waren auch die geplante Streichung der Gelder für das Jugendzentrum FlaFla sowie die Kürzungen bei den Stadtteilzentren und dem Haus unter den Linden (HudL). Bemerkenswert: Der Bürgermeister ließ auch über den Verwaltungsvorschlag abstimmen, und votierte als einziger dafür. Dieser beinhaltete die Streichung der Mittel für das FlaFla sowie der Mittel in Höhe von
40 000 Euro für das HudL und der Stadtteilzentren.

»Wir folgen den Vorschlägen des Bürgermeisters. Dass die sanften Sparbemühungen der Verwaltung durch Forderung der SPD konterkariert werden, ist für mich nur blanker Populismus«, so Rußkamp. SPD und Grüne wollen das FlaFla mit einem gekürzten Zuschuss erhalten. Bei den Senioreneinrichtungen sollen in 2013 nur 20 000 statt 40 000 Euro gespart werden. Ein Aufreger war auch die von Rot-Grün vorgesehene Schließung der City-Wache. Die Kehrtwende der SPD, die vor drei Jahren noch eine Aufstockung des Personals gefordert habe und nun den Laden dicht machen wolle, sei abenteuerlich, so Rußkamp. Bürgermeister Wollbrink betonte, es handele es sich um einen Prüfauftrag, dessen Inhalt er aber nicht befürworte. Gleichwohl standen die Kürzungen in voller Höhe ab 2014 in den Plänen von Rot-Grün. Der parteilose Bernd Reitmeier stimmte dem Rot-Grünen Vorschlag zu, »weil Stadtteilzentren und Jugendeinrichtungen dadurch erhalten bleiben«. Er beklagte den Einfluss der städtischen Holding HVV. Während hier über den Ausbau des H2O und den Bau des MARTa-Depots beschlossen worden sei, werde im städtischen Haushalt über die Kürzungen in der Jugend- und Seniorenarbeit gesprochen. Die Bürger für Herford stießen sich an der Forderung, die City-Wache zu schließen. »Trotz des Sparzwanges gilt es, die Sicherheit zu erhalten«, sagte Heiko Krüger. Auch Heinz-Günther Scheffer (Liste 2004) warnte davor, die City-Wache zu schließen.

Im Rat blockieren sich zwei Lager

Herford, 16. Juni 2012 Patt-Situation nach der Etatdebatte / Kurz vor den Ferien soll ein neuer Anlauf genommen werden
VON HARTMUT BRAUN, NEUE WESTFÄLISCHE

Beide Lager wollen die Steuern erhöhen, beide sind zu höheren Belastungen der Bürger bereit. Außerdem wollen „Bürgerliche“ genau wie „Rot-Rot-Grün“ die städtische Infrastruktur erhalten. Trotzdem endete die Etatdebatte des Rates gestern in einem Patt: Zwei Etat-Entwürfe wurden bei Stimmengleichheit abgelehnt. Herford bleibt ohne rechtskräftigen Haushalt.
Das bedeutet, dass Investitionen nicht getätigt und bestimmte Zuschüsse nicht ausgezahlt werden können. Auch für die Verlängerung von Verträgen, etwa im Offenen Ganztag, könnte es Probleme geben.

So spannend war es selten im Rat. Erstmals standen sich zwei scheinbar geschlossene Lager gegenüber: Auf der einen Seite SPD und Grüne, unterstützt von Bürgermeister Wollbrink (SPD) und den Linken Erika Zemaitis (Linkspartei) und Bernd Reitmeier (parteilos; auf der anderen CDU und FDP mit Heiko Krüger (Bürger für Herford) und Heinz-Günther Scheffer (Liste 2004).

Scheffer verkündete allerdings, er könne auch gut dem anderen Lager angehören; die CDU habe aber versprochen, ihm „für dieses Bündnis heute Abend einen auszugeben.“ Die Lacher waren auf seiner Seite.

Dieses „bürgerliche“ Lager hätte nun an sich eine Mehrheit von 23 zu 22 Stimmen gehabt, wenn nicht Ratsmitglied Werner Seeger (CDU) nach einem Unfall das Bett hüten müsste. Also ein Patt: Horst Heining (SPD) wollte daher noch vor Einstieg in die Debatte eine große Mehrheit aushandeln: Man liege doch gar nicht so weit auseinander, stellte er später auch in seiner Haushaltsrede fest, in der er die „Tugend des Kompromisses“ ins Zentrum rückte.

Doch die CDU wollte nicht mehr. Wolfgang Rußkamp (CDU) sprach von unterschiedlichen Politikstilen: Seriosität auf der einen, Populismus und Ideologie auf der anderen Seite. Herbert Even (Grüne) warnte davor, unnötig weitere Gräben aufzureißen. Lothar Wienböker sieht in Herford die Gefahr eines „Sozialismus unter grüner Führung“. Auch die vier Fraktionslosen im Rat nahmen das Wort: Heiko Krüger (Bürger für Herford) ist für mehr Kürzungen bei Marta, Erika Zemaitis (Linke) will die Wirtschaft stärker belasten. Bernd Reitmeier begrüßt die Rückführung der SWK in rein kommunale Trägerschaft. Scheffer warnt vor der Schließung der Citywache: „Ich habe Angst in dieser Stadt.“

Hauptthemen waren neben der Steuererhöhung die Zukunft der Citywache und der SWK, das Ende des Fla, die OGS-Beiträge und immer wieder die defizitäre Haushaltslage.

Am Ende versuchten CDU und FDP, ein SPD-Mitglied und speziell den Bürgermeister auf ihre Seite zu ziehen – entweder aus inhaltlichen oder aus Fairnessgründen, damit die regulären Mehrheitsverhältnisse wieder hergestellt würden. Bruno Wollbrink lehnte sofort ab: Er stehe dem rot-grünen Entwurf näher. Nach einer zweiten Sitzungsunterbrechung sagte namens der SPD auch Heining ab. In seiner Etatrede hatte er noch vor einem haushaltslosen Zustand gewarnt. Jetzt müssen beide Lager sich neu orientieren. Ein zweiter Anlauf kurz vor den Sommerferien zeichnet sich ab.

Herford ohne Haushalt

Herford, 15. Juni 2012 Patt-Situation im Stadtrat am Freitagabend
Von Hartmut Braun, NEUE WESTFÄLISCHE

Keine Einigung | FOTO: FRANK-MICHAEL KIEL-STEINKAMP

Paukenschlag in der Herforder Stadtratssitzung am Freitagabend: Wegen einer Patt-Situation von 22:22 Stimmen steht Herford auf einmal ohne Haushaltsplan für 2012 da. Da ein Mitglied der CDU-Fraktion erkrankt war, waren nur 44 der sonst 45 Ratsfrauen- und herren anwesend, die sich nicht einigen konnten.
Dem Rat hatten zwei Vorschläge für den Haushalt 2012 vorgelegen, die beide mit 22:22 Stimmen abgelehnt wurden. Knackpunkt zwischen bürgerlichem Lager und Rot-Rot-Grün waren die Grund- und Gewerbesteuern: Beide Lager waren bereit, diese anzuheben – aber in unterschiedlicher Höhe. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Höhe der Elternbeiträge für die Offenen Ganztagsgrundschulen in Herford.

Bürgermeister Bruno Wollbrink (SPD) will nun mit einer Sondersitzung vor den Sommerferien einen neuen Anlauf unternehmen, um doch noch einen Haushalt für 2012 auf den Weg zu bringen.

Pauli ruft Bundesschiedsgericht der Freien Wähler an

München, 14. Juni 2012  In einem Brief zur raschen Prüfung ihres negativ beschiedenen Aufnahmeantrags gebeten

Im Kampf um den Wiedereintritt bei den Freien Wählern setzt die partei- und fraktionslose bayerische Landtagsabgeordnete Gabriele Pauli auf das Bundesschiedsgericht der Partei. Sie habe den Vorsitzenden des Bundesschiedsgerichts, Stephan Wefelscheid, am Donnerstag in einem Brief zur raschen Prüfung ihres negativ beschiedenen Aufnahmeantrags gebeten, sagte Pauli der Nachrichtenagentur dapd und bestätigte damit einen Bericht des Bayerischen Rundfunks.

Die frühere Fürther Landrätin fordert in dem Schreiben freien Zutritt zur Bundesdelegiertenversammlung der Freien Wähler am Samstag im unterfränkischen Geiselwind. Ferner wolle sie ihre Mitgliedsrechte ausüben dürfen. Daher bittet sie das Schiedsgericht um eine Prüfung ihres Falls noch vor der Bundesversammlung.

Rot-Grün geht gemeinsam in die Etat-Beratung

Herford, 13. Juni 2012  Die beiden Fraktionen verständigen sich – und werben um zusätzliche Unterstützung
Von Hartmut Braun, NEUE WESTFÄLISCHE

Eine Woche nach dem Scheitern der schwarz-roten Haushaltsverhandlungen haben sich am Montag SPD und Grüne auf einen gemeinsamen Vorschlag für den Haushalt 2012 geeinigt. Sie verfügen allerdings nicht über eine Mehrheit im Stadtrat. Jetzt werben sie bei den anderen Parteien um Unterstützung.

„Es geht darum, die Handlungsfähigkeit der Stadt zu sichern“, sagt Hans-Jürgen Rühl (SPD) in Vertretung seines aus privaten Gründen verhinderten Fraktionsvorsitzenden Horst Heining. „Es wäre ein Armutszeugnis für den Rat, wenn er ein halbes Jahr nach Bekanntwerden der Rahmendaten nicht imstande wäre, einen Haushalt zu verabschieden“, meint Angela Schmalhorst (Bündnis 90/Grüne). Noch einmal Rühl: „Wir sind bereit, Verantwortung zu überrnehmen.“

Die Verhandlungen von CDU und SPD, die im Jahr zuvor noch eine große Haushalts-Koalition gebildet hatten, waren am 5. Juni gescheitert. Noch am gleichen Tag trafen sich SPD-Leute erstmals mit den Grünen.

Man sei sich rasch über die Eckpunkte einig gewesen, sagten Sprecher beider Fraktionen gestern in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Montag segneten beide Fraktionen das Papier ab, „einstimmig“, wie Udo Freyberg (SPD) hervorhebt.

„Wir folgen im Großen und Ganzen dem Vorschlag des Kämmerers“, sagt Herbert Even (Grüne). Dazu gehört die Akzeptanz der von Kämmerer Manfred Schürkamp geforderten Steuererhöhungen, die 2,3 Millionen Euro für das Stadtsäckel bringen sollen.

An Parkgebühren sollen 250.000 Euro zusätzlich eingenommen werden. Für den Offenen Ganztag an Grundschulen sollen ab 2013/14 gestaffelte Entgelte bis 140 Euro monatlich eingeführt werden. Zugleich verständigte man sich auf die Rücknahme einiger Kürzungsvorschläge im Sozial- und Jugendbereich.

So soll dem Fla der Geldhahn doch nicht abgedreht werden. Die Kürzungen bei der Seniorenarbeit werden gestreckt.

Der städtische Immobilienbetrieb (IAB) bekommt zusätzlich 800.000 Euro für dringende Sanierungsarbeiten: Diese sollen aus dem IAB-Eigenkapital finanziert werden. Und für neue Mensen an den Gymnasien stehen danach 2012 und 2013 jeweils 100.000 Euro zur Verfügung.

Die Grünen opfern die einst von ihr mit der CDU durchgesetzte Befreiung von Kita-Gebühren für das zweite Kita-Jahr. Die SPD ist bereit, mittelfristig auf die Citywache zu verzichten, deren Aufstockung sie gerade im vorletzten Jahr noch gefordert hatte.

Gemeinsam verfügen SPD und Grüne (inclusive Bürgermeister Bruno Wollbrink ) über 20 von 45 Stimmen im Rat, CDU und FDP bringen es auf 21 Stimmen.

Verabschiedet werden kann der rot-grüne Entwurf nur, wenn eine größere Anzahl von Mandatsträgern entweder mit Ja stimmt oder Stimmenthaltung übt. Die Ratssitzung beginnt Freitag um 16 Uhr.

Kommentar

Haushalt 2012 – Der Rat in Zugzwang
Von Hartmut Braun, NEUE WESTFÄLISCHE

Mit ihrem überraschenden gemeinsamen Vorstoß bringen Grüne und SPD das „bürgerliche Lager“ im Rat in Zugzwang. Dabei handelt Rot-Grün aus einer Minderheitenposition: Selbst mit den beiden „linken“ Stimmen im Rat reicht es nicht. CDU, FDP und die beiden Einzelkämpfer Scheffer und Krüger können Rot-Grün stoppen.

Nur: Wollen sie das? Theoretisch könnten sie ihrerseits eine Haushaltsvereinbarung erarbeiten und dem Rat zur Abstimmung vorlegen. Doch die würde entweder ebenfalls Steuererhöhungen und soziale Grausamkeiten enthalten oder die Stadt durch ein noch höheres Defizit direkt in die Haushaltssicherung führen. Bei einer Vertagung dagegen würde der Druck derer wachsen, die auf Geld von der Stadt warten. Wie man’s auch dreht: Eine Verständigung am Freitag ist von allen schlechten die beste Lösung.

Info

Von Citywache bis SWK

Die Änderungsvorschläge von SPD und Grünen zum Etatentwurf des Kämmerers summieren sich für 2012 auf weitere Mehrbelastungen um 60.000 Euro.

Um diesen Betrag steigt das zuvor auf rund 10 Millionen Euro bezifferte Defizit des Haushaltsjahres 2012.

Ohne die von Rot-Grün übernommenen Vorschläge zu Steuererhöhungen läge das Defizit um 2,3 Millionen Euro höher.

Teil der rot-grünen Haushaltsvereinbarung ist die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Partner Veolia über die Umwandlung der SWK GmbH in eine rein kommunale Anstalt des Öffentlichen Rechts (AÖR) ab 2014. Als AÖR wäre der Betrieb von der Mehrwertsteuer befreit, was die Gebührenzahler jährlich um 700.000 und den städtischen Haushalt um 300.000 Euro entlasten würde.

Mit dem Land soll über die Übernahme der Citywache ab 2014 verhandelt werden, die die Stadt 114.000 Euro kostet.

Die Kürzung bei der Seniorenarbeit soll für 2012 auf 20.000 Euro halbiert werden, wovon das Haus Unter den Linden 15.000 Euro tragen soll.

Die aufsuchende Pflegeberatung (67.000 Euro) wird nicht auf den Kreis übertragen oder aufgegeben, weil man damit 200.000 Euro sparen könne.

Beachclub-Eröffnung in Herford: Cocktails gegen dicke Wolken

Herford, 07. Juni 2012  Trotz des trüben Wetters blieb der Club nicht leer
Von Hartmut Brandtmann, NEUE WESTFÄLISCHE

Surfen unter Palmen | FOTO: FRANK-MICHAEL KIEL-STEINKAMP

Um 17.50 Uhr hörte der Regen auf, damit Frank Berghaus um 18 Uhr den Beach-Club in den Herforder Werregärten eröffnen konnte.
Den ganzen Tag über hatte es zeitweise wie aus Kübeln geschüttet, doch kurz nach 18 Uhr lichtete sich dann schlagartig der Himmel. Die Regenpause hielt bis in die Abendstunden an und so war der Club auch zu später Stunde noch gut besucht. Relativ frisch blieb es auch weiterhin, doch mit einem sommerlichen Cocktail in der Hand ließ sich die Kälte etwas vergessen.

Als Vertreter der Stadt erinnerte Udo Freyberg, stellvertretender Vorsitzender des Bauausschusses, daran, dass der Beschluss, die Werregärten zwischen dem Friedrichs- und dem Ravensberger Gymnasium zu genehmigen, einstimmig gefasst worden war.

Damit endete ein auch juristisches Gerangel um diesen Standort. Der Schausteller hat ihn mit mehr Aufwand als im Aawiesen-Park hergerichtet. Die Sitzgruppen sind komfortabler, die Ausstattung noch ein bisschen tropischer. Bier gibt’s trotzdem. Die Gäste können sich ein Zwölf-Liter-Fass in einem speziellen Tisch-Kühlschrank reservieren lassen.

Noch bis zum 2. September will Schausteller Frank Berghaus mit seinem Beachclub in den Werregärten bleiben.

Haushalt steht auf der Kippe

Herford, 06. Juni 2012  Werben um Fraktionslose
Von Ralf Meistes, Herforder Kreisblatt

Wichtige politische Gespräche fanden in den vergangenen zwei Jahren stets auf Fraktionsebene statt. Das bedeutete, Vertreter von CDU, SPD, FDP und Die Grünen saßen mit der Verwaltung an einem Tisch, während die vier Einzelkämpfer im Rat, Heinz-Günther Scheffer (Liste 2004), Bernd Reitmeier (parteilos), Erika Zemaitis (Die Linke) und Heiko Krüger (Bürger für Herford) vor der Tür standen. Sie wurden zumeist erst im Nachgang informiert. Das könnte sich jetzt ändern. Statt der kalten Schulter könnten die Fraktionen ihnen jetzt ihnen jetzt ihr schönstes Lächeln zeigen. Denn weder CDU und FDP (21 Stimmen) noch SPD und Grüne (19 Stimmen + Bürgermeister) haben für die Beschlüsse die nötige Mehrheit von 23 Stimmen. Ein Ampelbündnis (SPD, FDP, Grüne) scheint ebenso ausgeschlossen zu sein wie Jamaika (CDU, FDP, Grüne). Also wird man die Mehrheiten immer wieder aufs Neue suchen müssen. So werden aus wenig beachteten Einzelkämpfern kräftig umworbene Mehrheitsbeschaffer.